Eine sich gegenseitig absichernde Seilschaft läuft einen schneebedeckten Berghang hinauf

Risikomanagement im Normalbetrieb

Dem Water Safety Plan Konzept der WHO entspricht in Deutschland das "Risikomanagement im Normalbetrieb" der Wasserversorgung

Risikomanagement; © istockphoto.com/Pict Rider
Die Technischen Regeln

Neue W 1001 ergänzt DIN EN 15975-2

Zusätzlich zur DIN EN 15975-2 „Sicherheit der Trinkwasserversorgung - Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement – Teil 2: Risikomanagement“ wurde ein neues DVGW-Merkblatt W 1001:2020-11 erstellt, das u.a. umfangreiche Beispiellisten zu Gefährdungsereignissen und Auslösern von Krisen sowie Maßnahmen zur Risikobeherrschung beinhaltet. Die Beiblätter W 1001-B1 und W 1001-B2 wurden zurückgezogen, ihre Inhalte in die neue W 1001 integriert.

Hinweise zum Risikomanagement im Normalbetrieb werden in den folgenden Technischen Regeln gegeben:

Sicherheit der Trinkwasserversorgung – Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement – Teil 2: Risikomanagement
Sicherheit in der Trinkwasserversorgung – Risiko- und Krisenmanagement
Warum Risikomanagement?

Was ist der Hintergrund für die Technischen Regeln zum Risikomanagement?
Kann ein Versorger ein Risikomanagement selbständig einführen? Oder muss er dazu externe Unterstützung hinzuziehen?
Welche Werkzeuge können bei der Einführung helfen? Welche Praxiserfahrungen haben andere gemacht?

Was ist der Hintergrund für die Technischen Regeln zum Risikomanagement?

In der DIN EN 15975-2 „Sicherheit in der Trinkwasserversorgung - Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement - Teil 2: Risikomanagement" werden die Grundsätze für ein risikobasiertes und prozessorientiertes Management zur fortlaufenden, innerbetrieblichen Überprüfung und Optimierung der Versorgungssicherheit im Normalbetrieb dargestellt.

Dabei werden unter „Normalbetrieb" alle Betriebszustände und Prozesse inklusive Störungen in der Wasserversorgung verstanden, die durch die vom Versorger gewählten betriebsgewöhnlichen Mitteln und/oder Organisationsstrukturen beherrschbar sind.

Die Versorgungssicherheit im Sinne der DIN EN 15975-2 umfasst sowohl die Prozess- oder Verfahrenssicherheit (Betriebssicherheit) - im englischen Sprachraum bezeichnet als „safety“ - als auch die Sicherheit vor externen An- oder Eingriffen (Angriffssicherheit) - im englischen Sprachraum bezeichnet als „security“. Daneben wird der Begriff „safety“ vielfach zur Beschreibung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit des Trinkwassers im Sinne von „das Wasser ist sicher („safe“) zu trinken“ verwendet.

Mit der Methode können die Risiken im Betrieb der Trinkwasserversorgung systematisch ermittelt, bewertet und beherrscht werden.

Die in der Norm beschriebene Vorgehensweise und Ausführung von technischen Verfahren, Abläufen und Prozessen im betrieblichen Alltag werden in diesem Risikomanagementansatz als prinzipiell geprüft (basisvalidiert) angesehen. Das heißt sofern der Wasserversorger Maßnahmen zur Risikobeherrschung ergreifen muss, kann er bei fachgerechter Umsetzung der Technischen Regeln davon ausgehen, dass diese auch geeignet sind.

Aus Sicht des DVGW unterstützt die Methode eines risikobasierten und prozessorientierten Managements die Ziele, die Betriebssicherheit und die Wirtschaftlichkeit eines Versorgungssystems langfristig zu sichern. Spezifische Vorteile aus ihrer Anwendung umfassen neben anderen:

  • Sorgfältige Wahrnehmung der betrieblichen Aufgaben (Überwindung der „Betriebsblindheit“)
  • Förderung der Anwendung der Technischen Regeln
  • Erkennen und Beseitigen von Schwachstellen im Versorgungssystem
  • Unterstützung bei der betriebswirtschaftlichen Planung durch eine fortlaufende und systematische Beurteilung des Versorgungssystems
  • Förderung des innerbetrieblichen Erfahrungsaustausches und Sicherung des praktischen Betriebswissens
  • Stärkung der Organisationssicherheit
  • Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden und weiteren Akteuren sowie der Kommunikation mit der Öffentlichkeit
Kann ein Versorger ein Risikomanagement selbstständig einführen? Oder ist externe Unterstützung notwendig?

Grundsätzlich ist ein hohes Maß an Eigeninitiative von Seiten des Wasserversorgers wichtig und notwendig, denn das Risikomanagement muss nach seiner Einführung umgesetzt und im Unternehmen „gelebt“ werden. Die umfangreichen Beispiellisten zu Gefährdungsereignissen sowie Maßnahmen zur Risikobeherrschung bieten eine gute Grundlage für jedes Unternehmen, ein betriebliches Risikomanagement selbst aufzubauen und zu etablieren. Auch die DVGW-Schulungen zum Risikomanagement dienen dazu, das notwendige Methodenwissen zu vermitteln.
Es mag jedoch auch gute Gründe dafür geben, gezielt externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Die Unterstützung kann helfen, Unsicherheiten in der Methodik zu klären, vorhandene Gefährdungskataloge und Erfahrungen zu nutzen, typische Umsetzungsfehler (zum Beispiel ein zu detaillierter Anspruch) zu vermeiden, die Umsetzungsphase zu straffen.
Ein wichtiges Argument für eine fachkundige externe Begleitung ist auch die Überwindung der „Betriebsblindheit“ für die eigenen Schwachpunkte. In diesem Sinne muss externe Unterstützung nicht notwendigerweise den Einkauf von Beratungsleistungen bedeuten. Auch der gezielte Fachaustausch mit benachbarten Wasserversorgern kann als externe Beratung verstanden werden.

Hilfreiche Werkzeuge und Praxiserfahrungen:

Neben den beiden DVGW-Webseiten "Sicherheit in der Wasserversorgung" und "Krisenmanagement" gibt es noch weitere hilfreiche Webseiten von externen Anbietern:

Umweltbundesamt (UBA), Berlin und Bad Elster:

  • Tool zur Erstellung einer Risikobewertung und Beantragung einer risikobewertungsbasierten Anpassung der Probennahmeplanung beim Gesundheitsamt (anzufordern unter E-Mail trinkwasserschulung(at)uba.de)
FAQ: Antworten auf häufig gestellte Fragen
Wird ein risikobasiertes und prozessorientiertes Management in der deutschen Wasserversorgung gesetzlich vorgeschrieben? Und wenn ja, wann?

Die Europäische Kommission diskutiert das Water-Safety-Plan-Konzept der WHO im Zusammenhang mit der Evaluierung der EG-Trinkwasserrichtlinie. Es kann derzeit mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das WSP-Konzept als wichtiges Instrument für eine sichere Wasserversorgung aufgenommen werden wird.

Ungeachtet dessen hält der DVGW ein risikobasiertes und prozessorientiertes Management in Verbindung mit dem Technischen Sicherheitsmanagement (TSM) für wichtig, um eine Wasserversorgung mit hoher Versorgungssicherheit nachhaltig und langfristig wirtschaftlich zu gewährleisten. Der DVGW, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Umweltbundesamt (UBA) arbeiten eng miteinander zusammen, um auf europäischer Ebene die Interessen Deutschlands bei der beabsichtigten Integration des WSP-Konzeptes in die Richtlinie zu vertreten.

Wie hängen Risikomanagement und TSM zusammen? Gibt es Doppelungen und/oder Überschneidungen?

Bei der Erstellung des Merkblattes DVGW W 1001 wie auch der Norm DIN EN 15975-2 wurde das Water-Safety-Plan-Konzept, bezogen auf das bestehende DVGW-Regelwerk, kritisch analysiert. Unter Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse und Grundsätze in der Trinkwasserversorgung wurden entsprechende Anpassungen in das Regelwerkssystem integriert. Inhaltlich ergänzt die systematische Vorgehensweise zur Identifikation von Gefährdungen und Beherrschung von betrieblichen Risiken die grundlegenden Anforderungen an Organisationssicherheit und Qualifikation des Personals im DVGW W 1000.
Alle Maßnahmen zur betrieblichen Organisation, Prozessstrukturierung, Dokumentation etc. im TSM finden sich im Risikomanagement-Ansatz wieder und werden darin um eine detaillierte technische Betrachtung bzw. die operative Umsetzungsebene vertieft. Insofern sind gerade TSM-überprüfte Wasserversorger häufig gut auf die Entwicklung und Einführung eines betrieblichen Risikomanagements vorbereitet.

Mit welchem Aufwand muss ein Versorger bei der Ersteinführung rechnen?

Da das risikobasierte und prozessorientierte Management individuell bei jedem Wasserversorger eingeführt und angepasst werden muss, sind generelle Angaben hierzu sehr schwierig. Gerade bei der erstmaligen Einführung hängt der Aufwand stark vom vorhandenen Stand der betrieblichen Dokumentation und dem Wissen der Mitarbeiter um die Schwachstellen und die Leistungsfähigkeit des Versorgungssystems ab.
Erfahrungen aus Praxisprojekten ohne methodischen Entwicklungscharakter zeigen, dass für ein Wasserwerk mit zugehörigem Einzugsgebiet und einem Verteilungssystem ein Projektzeitraum von 6-8 Monaten realistisch ist. Komplexere Versorgungsverhältnisse wie Verbundsysteme mit mehreren Wasserwerken oder zahlreichen Schnittstellen zu benachbarten Systemen erhöhen den Aufwand. In jedem Falle verringert sich der Aufwand bei der zyklischen Wiederholung deutlich.
Die Basis für eine Implementierung des Risikomanagements bietet auch die Erstellung eines Handbuchs zur Organisation des technischen Betriebs eines Trinkwasserversorgers. Unterstützung hierfür bietet der Leitfaden der DVGW-Information Wasser Nr. 92.

In welchem Zusammenhang stehen DIN EN 15975-1 und DIN EN 15975-2?

Der Ansatz eines risikobasierten und prozessorientierten Managements der DIN EN 15975-2 zielt darauf ab, das Sicherheitsniveau der Trinkwasserversorgung zu erhöhen, sowohl hinsichtlich der Betriebs- als auch der Angriffssicherheit.
Mittels der in DIN EN 15975-2 beschriebenen Bausteine
•    Beschreibung des Versorgungssystems,
•    Bewertung des Versorgungssystems,
•    Risikobeherrschung,
•    Nachweis der Versorgungssicherheit (Verifizierung)
und deren Dokumentation sowie wiederholte periodische Anwendung wird das Niveau der vom Versorger mit betriebsgewöhnlichen Mitteln und/oder Organisationsstrukturen beherrschbaren Betriebszustände und Prozesse inklusive Störungen kontinuierlich erhöht.
Auch bei einem noch so ausgefeilten Risikomanagement-System verbleibt immer ein gewisses Maß an Restrisiken, da
•    bestimmte Risiken nicht erkannt werden bzw. erkannt werden können,
•    keine oder vom Kosten/Nutzen-Verhältnis nur ungenügende Maßnahmen zur Risikobeherrschung durchgeführt werden können oder
•    das Risiko als vermeintlich tragbar angesehen wird.
Für diese selten eintretenden, schwerlich vorhersehbaren und daher auch nicht planbaren Situationen, die vom Versorger nicht alleine mit seinen betriebsgewöhnlichen Mitteln oder Organisationsstrukturen beherrscht werden können und oftmals die Mitwirkung der zuständigen Behörden erforderlich machen, beschreibt die DIN EN 15975-1 „Sicherheit der Trinkwasserversorgung – Leitlinien für das Risiko- und Krisenmanagement – Teil 1: Krisenmanagement" auf der Basis der bewährten Organisationsstrukturen der für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden die Grundlagen für ein betriebliches Krisenmanagement mit entsprechenden Empfehlungen für den Wasserversorger.

Risikobewertung und Risikomanagement in Wassergewinnungsgebieten

DVGW nimmt am 12. Mai 2023 Stellung zum Entwurf der Trinkwassereinzugsgebieteverordnung

Das BMUV hat am 03.04.2023 den Referentenentwurf zur TrinkwEzgV vorgelegt, der die Anforderungen der EU-TWRL umsetzt. Der DVGW begrüßt die rechtsverbindliche Umsetzung des Water-Safety-Plan-Ansatzes der WHO, kritisiert den Referentenentwurf aber als völlig ungenügend für die Erreichung des damit verfolgten Zwecks. Der DVGW macht in seiner Stellungnahme vom 12.05.2023 detaillierte Vorschläge für umfangreiche Änderungen des Referentenentwurfs und einen vollzugsfähigen Zeitplan. Eine Beschlussfassung im Bundesrat kann voraussichtlich erst im Herbst 2023 erfolgen.
 

Objektschutz als Teil des Risikomanagements

Das Merkblatt befasst sich mit der Reduzierung und Beherrschung von Risiken in der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser. Mit ihm können Maßnahmen zum Objektschutz einzelner Wasserversorgungsanlagen ermittelt werden. Dies geschieht im Rahmen des Risikomanagements gemäß DVGW W 1001 (M) bzw. DIN EN 15975-2. Das Merkblatt W 1050 wurde im November 2019 veröffentlicht.

Darüber hinaus hat der DVGW im Januar 2014 die DVGW-Information WASSER Nr. 80 veröffentlicht. In dieser werden die im DVGW W 1050 (M) formulierten Grundsätze um einen Leitfaden zur Umsetzung eines Objektschutzkonzeptes ergänzt.

Dieses erläuternde Dokument zeigt praktische Lösungsmöglichkeiten auf, wie ein ausgewogener Handlungsbedarf durch Abgleich von Sicherheitsanforderungen mit den vorhandenen Sicherheitsausstattungen ermittelt werden kann. Ziel ist es, eine priorisierte Maßnahmenliste zum Schutz der Wasserversorgungsanlagen zu erarbeiten.

Allgemeine Artikel, Veröffentlichungen und DVGW-Rundschreiben zum Risikomanagement
Allgemeine Veröffentlichungen und Vorträge
  • Offermann, M. (2020): Online-gestütztes Risikomanagement für Wasserversorgungsunternehmen. 53. Essener Tagung für Wasserwirtschaft - "Wasser in einer sich verändernden Welt" vom 18.-20.3.2020 in Essen, Hrsg. J. Pinnekamp, Aachen: Ges. z. Förderung d. Siedlungswasserwirtschaft an der RWTH Aachen e.V., 252, pp. 35/1-35-9.
     
  • Brauer, F.; Fischer, T.; Sturm, S. (2019): Digitale Anwendung zum Risikomanagement in der Trinkwasserversorgung. In: Veröffentlichungen aus dem DVGW-Technologiezentrum Wasser Karlsruhe (90), ISSN 1434-5765, S. 1–18

DVGW-Rundschreiben

Betrieb von Leitstellen, Betriebswarten und Dispatchingzentralen in Zeiten von COVID-19

Ansprechpartnerinnen
Für fachliche Fragen zum Water Safety Plan
Dr. Claudia Castell-Exner
Hauptgeschäftsstelle / Wasserversorgung

Telefon+49 228 91 88-650
Für fachliche Fragen zum Risikomanagement in der Wasserversorgung
Johanna Kreienborg
Hauptgeschäftsstelle / Wasserversorgung

Telefon+49 228 9188-854